Ehrenamtstag Burg Warberg - 26.03.22
Zum Leben gehören Sterben, Tod und Trauer dazu. Man kann und soll darüber sprechen. Die Hospizbewegung sucht nach Wegen, diese Themen wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein zurückzuholen. In der ersten Reihe: Dr. Rainer Prönneke, Braunschweig (stehend), Rosemarie Fischer, Celle und Volkmar Schmuck, Wolfenbüttel.
Foto: Ingrid Rehfeldt
„Wir helfen beim Sterben, aber nicht zum Sterben.“
Hospizvereine sind eine Reformbewegung für die Gesellschaft
Es gibt viel Scheu, viele Berührungsängste im Zusammenhang mit Tod und Sterben. Unterbewusst stellen sich Bilder mit Schmerz, langen Leidenszeiten, Apparatemedizin ein. Befürchtungen, Ängste steigen in uns auf. Wir werden mit unserer eigenen Endlichkeit konfrontiert. Unsicherheiten weit und breit in der Gesellschaft…
Um in konkreten Situationen Ansprechpartner zu haben, Beistand zu bieten, sind Hospizvereine gegründet worden. Diese Initiativen „von unten“ mit ihren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern haben sich zu einer „echten Reformbewegung“ (Dr. Prönneke) entwickelt.
Um auf diesem Weg für andere da zu sein, ist auch immer wieder gegenseitige Stärkung und Unterstützung erforderlich. Beim Ehrenamtstag für die Region Süd-Ost-Niedersachsen auf Burg Warberg (Kreis Helmstedt) ging es um den „assistierten Suizid“.
Seit nunmehr zwei Jahren wird in der Gesellschaft intensiv und kontrovers diskutiert. Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Recht zur Selbsttötung gestärkt – ebenso das Recht, dazu Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wie das konkret umgesetzt werden kann, dafür wird der Gesetzgeber noch Verfahrensregelungen definieren müssen.
Die drei Referenten setzten sich mit dem Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Fremdbestimmung auseinander. „Wir haben nicht die Autonomie, die uns das Urteil glauben lässt“, so der Braunschweiger Palliativmediziner Dr. Rainer Prönneke. „In unserer Gesellschaft ist die Unabhängigkeit zunehmend zum obersten Lebensziel erhoben worden. Das gerät uns jedoch zum Schaden, wenn wir faktisch in Abhängigkeit geraten.“ Denn: jeder ist abhängig, braucht andere. Allein sind wir nicht überlebensfähig. Überdeutlich gilt das für die frühen Lebensjahre ebenso wie zum Lebensende hin.
Jeder ist eingebunden in eine Gemeinschaft. Unser Leben können wir nur in diesem Rahmen gestalten. Und von unseren Entscheidungen sind immer auch andere betroffen. So weist Seelsorger Volkmar Schmuck darauf hin, dass uns das Leben nicht gehört – und wir es schließlich auch wieder abgeben müssen. Spätestens zum Lebensende hin endet unsere relative Selbstgestaltung, es sei denn, wir suchen einen „Notausgang“, wie er es nennt.
Von Rosemarie Fischer, Juristin beim Landesstützpunkt Hospizarbeit und Palliativversorgung, lernen die Hospizhelferinnen und -helfer: „Selbsttötung an sich ist nicht strafbar. Deswegen kann eine Unterstützung auch nicht strafbar sein. Dagegen sind jedoch alle Handlungen strafbar, bei denen jemand einen anderen tötet.“ Die Abgrenzung zwischen assistiertem Suizid und aktiver Sterbehilfe ist also ein schmaler Grat. Seelsorger Schmuck bringt es auf den Punkt: „Wie soll man jemandem erklären, der nicht in juristischen Kategorien denkt, dass man einem Sterbewilligen einen Becher mit todbringendem Medikament hinstellen darf - andererseits wäre aber schon das Anreichen eine aktive Unterstützung!“ Die Referenten sind sich einig, dass diese Grenze irgendwann auch fallen könnte. Das Kriterium der „Tatherrschaft“ steht im Raum.
Das Bundesverfassungsgericht stellt auch fest: Niemand darf zur Suizidbeihilfe verpflichtet werden. Dies gilt für Angehörige, Pflegekräfte und für Ärztinnen und Ärzte gleichermaßen. Gerade Ärzte sind angetreten, Leben zu schützen und zu erhalten. So sieht Dr. Prönneke wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen seine Aufgabe nicht darin, Beihilfe zum Suizid zu leisten. Er versteht sich als „Berater“. Gibt es doch für Menschen, die selbstbestimmt sterben möchten, mehrere Alternativen: Therapieverzicht, eine symptomlindernde (palliative) Versorgung, das Sterbefasten und letztlich die sogenannte palliative Sedierung. Prönneke: „Es gibt Leid, aber auch viel Tiefe im Sterben.“ Diese letzte Phase bietet die Chance einer umfassenden, bewussten Lebensbilanz. Schwachsein darf gelebt werden. Gerade dann kann ein Lebensweg zu seinem Höhepunkt finden. „Es ist ein Highlight, wenn jemand das Glück dieses Augenblicks genießen kann“, so Koordinatorin Petra Scholz-Marxen. Wir haben alle die Möglichkeit der Selbstentwicklung bis zuletzt. Das sollte von allen Beteiligten im Blick behalten werden.
Ehrenamtliche haben das bei ihren Sterbebegleitungen häufig erfahren dürfen. Was wird auf sie und ihre Vereine nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zukommen? Die Frauen und Männer sind darin geübt, Bedürfnisse von schwerkranken und sterbenden Menschen wahrzunehmen. Um kompetente Gesprächspartner in existentiellen Situationen sein zu können, müssen sie ihre eigene Haltung zu Leben und Sterben geklärt haben. Das wird jetzt noch einmal verstärkt notwendig sein.
Für die Ehrenamtlichen war neben dem besonderen historischen Ambiente des Veranstaltungsortes und der freundlichen Atmosphäre der vereinsübergreifende Erfahrungsaustausch wichtig. In Workshops gingen sie Fragen der Begleitungspraxis nach: Wie können wir Menschen notfalls auch noch ohne Worte erreichen und über die Sinne eine Beziehung aufbauen und entwickeln? Schon allein eine liebevolle, wohlwollende Nähe vermittelt eindeutig Ruhe und Sicherheit. Aus Vertrauen kann wiederum Gelassenheit und Kraft für wichtige innere Prozesse entstehen, die zur Entfaltung drängen. Worauf ist zu achten, wenn Menschen mit einer dementiellen Erkrankung begleitet werden? Was sind Signale für spirituelle Bedürfnisse und wie kann darauf reagiert werden? Auch die Phase zwischen Tod und Bestattung braucht viel Aufmerksamkeit. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Gestaltung dieser Zeit von besonderer Bedeutung für die nachfolgende Trauer ist. Am Ende stand eine Fülle von Ritualen bereit, auf die in dieser wichtigen Zeit zurückgegriffen werden kann.
Text: Ulrike Jürgens