Den Abschied leben lernen von der Geburt bis zum Ende des Lebens
20 Jahre Hospizarbeit Gifhorn: Prof. Dr. Annelie Keil spricht beim Festakt – Ehrung der Begleiterinnen und Begleiter
Gifhorn. Seit 20 Jahren wird in Gifhorn ehrenamtlich und organisiert Hospizarbeit geleistet. Das feierte der Verein am Freitag mit einem ökumenischen Gottesdienst und am Samstag mit einem Festakt im Rittersaal. Prof. Dr. Annelie Keil hielt den Festvortrag zum Thema „Den Abschied leben lernen“, mit Gabi Baumann, Stefan Mühlstein und Petra Soffner berichteten auch drei ehrenamtliche Begleiter aus ihrer Arbeit.
Zwei Etappen aus den 20 Jahren benannte Vorsitzende Ewa Klamt explizit: die Begleitung lebensbedrohlich erkrankter Kinder und Jugendlicher seit 2008 und die Gründung des Trauercafés 2012.
Keil, Professorin für Sozial- und Gesundheitswissenschaften in Bremen und in der Hospizbewegung aktiv, stellte in humorvoller, lebensfroher und mitreißender Art fest, dass das ganze Leben mit Abschieden behaftet ist. „Vergänglichkeit ist allgegenwärtig“, nannte sie als Beispiel eine Trennung oder einen beruflichen Wechsel. Und wieso wird vielen eigentlich erst am Ende des Lebens bewusst, was wichtig ist? „Das könnte man auch früher wissen.“ Das Leben stellte sie als Training für Selbstbestimmtheit dar und gab ein klares Votum gegen aktive Sterbehilfe ab, ebenso wie Landessuperintendent Dieter Rathing und Landrat Dr. Andreas Ebel. „Wir brauchen eine Kultur des menschenwürdigen Lebens an seinem Ende“, betonte Keil und widersetzte sich dem Perfektionswahn: „Und es ist nicht meine gymnastische Zielsetzung, mit einer Rolle vorwärts in den Sarg zu kommen.“
Rathing nannte Hospizarbeit das überzeugendste Argument gegen Sterbehilfe. „Ein würdiges Sterben ehrt das ganze Leben“, zitierte Ebel Petrarca, „wir müssen Sterben, Tod und Trauer ins Leben integrieren“. tru
20 Jahre Hospizarbeit: Vorsitzende Ewa Klamt nannte beim Festakt ein paar Etappen aus der Geschichte. Cagla Canidar
AZ 04.06.2018
Ein Verein, der Sterbenden Zeit schenkt
Gifhorn. Beim Festakt der Hospizarbeit Gifhorn sprechen Helfer über ihre Erfahrungen. Professorin Annelie Keil aus Bremen referiert.
Von Reiner Silberstein
Gifhorn. Lachen und weinen liegen oft nah beieinander, selbst bei der Hospizarbeit. Das zeigte sich anschaulich beim Festakt zum 20-jährigen Bestehen des gleichnamigen Vereins vor Helfern, Mitgliedern, ' Kirche, Politik und Verwaltung im Rittersaal des Gifhorner Schlosses am Samstag. „Sie sind alle wieder da“, sagte Gabi Baumann -jetzt, in ihren Erinnerungen, all die Menschen, die sie bis zum Tod begleitet hat. Sie berichtete wie Stefan Mühlstein und Petra Soffner von ihren Erfahrungen als eine der ehrenamtlichen Helfer - denn diese sollten im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen. „Zum Beispiel der alte Herr, der mich gedanklich mit auf seine Reisen nahm, im Beiwagen seines Motorrads bis in die Schweiz. Wir wollten eigentlich noch nach Italien fahren.“ Oder der
Manager, den der Krebs viel zu schnell aus dem Leben gerissen hatte. „Seinen Lieblingsplatz auf Costa Rica habe ich später selbst einmal besucht.“ Wenn Menschen fragten, was sie bei den Sterbenden mache, dann sage sie: „Ich schenke Zeit.“ Wie man ganz positiv „Abschied leben lernen“ kann, bot Professorin Annelie Keil aus Bremen auf ihre humorige Art dar: „Manche Gattin sagt am Ende: Wenn du nicht bald stirbst, dann lasse ich mich scheiden.“ Vor dem Tod gebe es eben nichts mehr zu verschweigen, da stecke viel Wahrheit und Offenheit drin - „vielleicht ein Grund, dass auch viel gelacht wird. Die Hospizarbeit ist anstrengend, aber manchmal auch erfrischend.“ Jedenfalls solle der Sterbende nicht auf seinen Krankheitsbefund reduziert werden: „Das Leben ist nicht beendet, wenn es bedroht ist.“
Landessuperintendent Dieter Rathing meinte, die Hospizarbeit sei eine seiner stärksten Argumente gegen die Sterbehilfe. „Sie ist eine Lebensbegleitung auf das Sterben hin.“ Dieser Dienst sei von unschätzbaren Wert für die Gesellschaft. Sie halte mit ihrem Ehrenamt stand gegen die Professionalisierung und Ökonomisierung rund um das Sterben.
„Das Sterben gehört zum Leben wie die Geburt“, sagte Gifhorns Landrat Andreas Ebel. Und: „Wenn wir das Sterben würdigen, dann würdigen wir das ganze Leben. “ Sein Dank galt der „segensreichen Arbeit“ des Vereins.
Hospizarbeit sei anstrengend, sagte Professorin Annelie Keil, manchmal aber auch erfrischend. Fotos: Reiner Silberstein
GR 04.06.2018
Klamt: Wir wollen die Würde des Menschen bis zum letzten Tag bewahren
Die Vorsitzende der Hospizarbeit Gifhorn blickt zum 20-jährigen Bestehen in die Zukunft des Vereins.
Gifhorn. Der Verein Hospizarbeit Gifhorn feiert am kommenden Freitag mit einem Festgottesdienst sein 20-jähriges Bestehen (siehe unten). Über die Entwicklung und die Aussichten für die Zukunft sprach Redakteur Reiner Silberstein mit der Vorsitzenden Ewa Klamt.
Frau Klamt, was hat sie persönlich mal dazu bewegt, sich für die Hospizarbeit zu engagieren?
Ich wurde ganz einfach gefragt (lacht). Ich hatte meine Bundestagszeit ja bewusst beendet und wollte ein Sabbatjahr einlegen. Aber nur wenige Monate später wurde ich gefragt, ob ich den Vorsitz von Joachim Kalberlah übernehmen möchte. Ich wurde zu einem Klausurwochenende eingeladen und lernte alle Sterbebegleiter kennen - und stellte fest: Es sind alles tolle Menschen! Da dachte ich, es darf nicht passieren, dass sich dieser Verein auflöst. Die Wertigkeit war mir sehr bewusst, ich hatte selbst beide Elternteile verloren. Jetzt bin ich schon vier Jahre dabei.
Was hat der Verein in seinen 20 Jahren alles erreicht?
Eins unserer Ziele ist ja die Enttabuisierung des Sterbens. Dieses Thema schieben viele Menschen beiseite, das Zulassen, das darüber Reden. Wir hatten früher ein anonymisiertes Sterben in den Krankenhäusern - davon wollen wir weg. Denn jeder von uns wird diese Stunde erleben, und dann sind wir froh, wenn wir eine helfende Hand haben. In dieser Hinsicht haben wir viel erreicht. Früher, wenn wir am Welthospiztag einen Stand in der Fußgängerzone aufgebaut haben, haben die Leute einen großen Boden drum herumgemacht. Heute kommen sie zu uns und stellen viele Fragen. Es findet ein Wandel in der Gesellschaft statt, ein Bewusstseinswandel. Wir wollen die Würde des Menschen bis zum letzten Tag bewahren, das finde ich ganz Wichtig.
Aber ein stationäres Hospiz In Gifhorn ist immer noch ein unerfüllter Traum. Wann wird er Wirklichkeit?
Ich bin Optimistin und glaube fest daran, dass wir auf einem guten Weg sind. Ich bin Kraft meines Amtes ja im Kuratorium und weiß dass sich vieles zerschlagen hat. Aber dabei sind auch die Überlegungen gereift, was wir eigentlich genau brauchen. Ich hoffe jedenfalls, dass das Haus zum 25-jährigen Jubiläum stehen wird.
Was wird denn das Haus an der Arbeit des Vereins ändern?
Die Grundidee ist, dass wir dann mit der Hospizstiftung und dem Palliativnetz Gifhorn unter einem Dach sind, sprich: dass es dann auch für die ambulante Hospizarbeit dort Räume gibt. Dass wir weiter Hand in Hand arbeiten, ist wichtig für uns. Wir müssen dann die Schulungen intensivieren, weil auch das Haus ehrenamtliche Helfer braucht, man sagt 50 zu 50 Prozent. Zudem bleibt die ambulante Hilfe. Denn das Hospiz wird acht Zimmer haben, und das für den ganzen Landkreis. Viele Menschen sagen auch bewusst, dass sie gern zu Hause sterben möchten. Insofern machen wir die ambulante Hilfe ebenfalls weiter. Dazu wird es für uns weitere Aufgaben geben: zum Beispiel einen Informationsservice für Angehörige, Essensausgabe und Bürotätigkeiten.
Die Mitgliederzahlen und die der aktiven Begleiter haben sich stetig gesteigert, und das lag nicht allein an der Fusion mit Wittingen 2010. Wie erklären Sie sich das?
Wir haben derzeit 307 Mitglieder. Davon sind 35 aktive Begleiter. Weitere acht beenden im Juni ihre Schulung. Das Schöne ist: sie kommen alle freiwillig. Für die Begleiter machen wir jedes Jahr zwei Infoabende und rufen dazu in der Zeitung auf. Die Hälfte der Besucher wollen sich nur mal informieren und kommen später wieder. Die andere Hälfte kommt bereits mit dem festen Ziel, auch zu helfen.
Was treibt denn die Helfer an, anderen, fremden Menschen beizustehen? Das ist ja bestimmt auch eine sehr belastende Aufgabe.
Es gibt verschiedene Beweggründe. Manche von ihnen haben selbst einen Menschen verloren und sie sagen, das habe sie nachdenklich gemacht. Daher haben sie sich dann mit dem Thema befasst. Allerdings sagen wir immer, dass solche Helfer erst einmal ihre eigene Trauer beendet haben müssen. Andere haben teilweise einen beruflichen Hintergrund, kommen zum Beispiel aus der Pflege. Wieder andere wollen etwas Sinnvolles in ihrem Leben tun. Alle Helfer sagen jedenfalls, dass unsere Schulung enorm wichtig sei. Neuen geben wir Paten an die Hand.
Was können die Begleiter denn konkret für die sterbenden Menschen tun?
Manchmal sind sie mehr von den Angehörigen gefordert als von den Kranken. Denn Erstere sind durch die Pflege schon stark eingespannt und trauen sich sonst gar nicht mehr, mal wegzugehen. Aber ein Begleiter kann sagen: “Ich bin da, Sie können für zwei Stunden mal das Haus verlassen.“ Es sind eben oft nicht die weltbewegenden Dinge, die helfen. Eine andere Situation gibt es in Pflegeeinrichtungen, manchmal begleiten wir dort alleinstehende Menschen. Dann sind wir einfach bei ihnen, lesen etwas vor, sprechen mit ihnen und halten ihre Hand. Die Hilfen sind sehr unterschiedlich. Da kommen unsere Koordinatoren ins Spiel. Sie können genau sagen, welcher Begleiter für welche Aufgabe geeignet ist.
FESTGOTTESDIENST
Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens der Hospizarbeit Gifhorn laden die beiden großen Gifhorner Kirchen zu einem ökumenischen Gottesdienst am Freitag, 1.Juni um 17 Uhr In die St.-Nicolaikirche ein. im Mittelpunkt der Feier, die musikalisch vom Kirchenkreiskantor Raphael Nigbur gestaltet wird, stehen neben dem Dank die Fragen nach dem Umgang mit Sterben und Tod. Neben den Pastoren gestalten Mitarbeitende der Hospizarbeit den Gottesdienst mit und berichten über Ihre Erfahrungen in der Begleitung sterbender Menschen. Mehr Informationen im Internet unter: www.hospizarbeit-gifhorn.de
Ewa Klamt ist die Vorsitzende des Vereins Hospizarbeit Gifhorn. Archivfoto: Bode
GR 29.05.2018